Zwei Löwen fahren zum Ironman nach Hawaii!

Der Ironman-Triathlon

Außenstehende fragen sich zu Recht, wie jemand auf die Idee kommt, sich einen Langdistanztriathlon anzutun. Seine persönliche Antwort hierzu hatte einst Navy-Commander John Collins bei der allerersten Austragung des Hawaii-Triathlons 1978 wie folgt formuliert: „Schwimme 3,8 km, radle 180 km, laufe 42,2 km. Prahle damit für den Rest Deines Lebens!“ Im Jahre 1977 hatten seine Frau Judy und er die Idee zum damals anstrengendsten Ausdauerwettbewerb geboren. Sie waren sich uneins darüber, welcher der damals in Hawaii bereits existierenden Wettbewerbe der anstrengendste sei. Ist es der 2,4 Meilen lange Waikiki Roughwater Swim, das 112 Meilen lange Around-O’ahu Bike Race oder der 26,2 Meilen lange Honolulu-Marathon? Das liegt vermutlich im Auge des Betrachters und seinem sportlichen Hintergrund. Unstrittig ist jedoch, dass die Kombination aller drei Wettkämpfe jede einzelne Herausforderung bei Weitem übertrifft. Das führte sie zum Gedanken, einen solchen Wettkampf, der alle drei Strecken und Disziplinen vereint, tatsächlich auszutragen. Umgesetzt wurde diese Idee zum ersten Mal 1978. Gerade einmal 15 Starter wagten sich, daran teilzunehmen. Heute ist der Hawaii-Triathlon eine große und weltweit bekannte Veranstaltung, bei der mehr als 2.000 Teilnehmer aus aller Welt an den Start gehen. Teilnehmen kann dort nur, wer sich über einen der 40 Ironman-Qualifikationswettbewerbe qualifiziert, es sei denn man ist sehr berühmt oder hat Glück in der Lotterie, die weitere Qualifikationsplätze verlost. Für eine reguläre Qualifikation muss man jedoch als Amateur einen der vorderen Plätze in der Altersklasse erreichen. Jeder Wettkampf hat eine vorgegebene Anzahl von Qualifikationsplätzen, die proportional zur Größe der Altersklasse auf die einzelnen Klassen verteilt werden.

Ironman ist schon lange eine eingetragene Marke mit weltweitem professionellen Merchandising amerikanischen Zuschnitts, sehr hohen, teilweise auch verdeckten Startgebühren und geschickt gemachten Anreizen, weiter teilzunehmen und Geld auszugeben. Es gibt Menschen, die sich das Ironman-Logo auf den Körper tätowieren lassen. Im August 2015 verkaufte der Markeninhaber World Triathlon Corporation (WTC) seine Rechte für 650 Millionen US-Dollar an einen chinesischen Finanzinvestor. Vor dem Hintergrund dieser Kommerzialisierung fragt man sich ein weiteres Mal, wie jemand auf die Idee kommt, sich einen Langdistanztriathlon im Allgemeinen und einen Ironman-Langdistanztriathlon im Speziellen anzutun. Zumal es neben der WTC auch alternative, kommerzielle „Anbieter“ und auch Sportvereine gibt, die einen Langdistanztriathlon organisieren.

Der Ironman-Triathlon lebt vom Mythos Hawaii. Wenn man am Ursprung des Triathlons selbst starten möchte, führt kein Weg an WTC vorbei – was aber noch immer nicht die Frage beantwortet, warum man überhaupt eine Langdistanz absolvieren möchte. Diese Frage ist sicherlich schwieriger zu beantworten. Zunächst ist anzumerken, dass man nicht eines Morgens mit dem Entschluss aufwacht, sich einer Langdistanz zu stellen. Vielmehr ist es das Ergebnis eines längeren Prozesses, der meist in einer der drei Teildisziplinen beginnt. So sucht ein erfahrener Marathonläufer zum Beispiel nach neuen Herausforderungen. Oder eine Sportlerin beginnt erst mit einem Triathlon über die Sprint-Distanz, kommt dann zur olympischen Distanz und schließlich zur Halbdistanz. Dort mit positiven Erfahrungen angekommen reizt dann die Langdistanz. Begleitend hierzu lässt man sich anstecken von den Freunden aus dem Verein, die eine solche Distanz bereits bewältigt haben. Wir erinnern uns an die Worte John Collins. Wer eine solche Distanz geschafft hat, wird kaum den Mantel des Schweigens darüber hüllen.

Es ist sicherlich die große sportliche Herausforderung, zum Teil auch befeuert durch die spektakulären Bilder von Sportlerinnen und Sportlern, die über die Ziellinie kriechen oder kurz davor zusammenbrechen, die viele von uns zu dieser physischen und psychischen Höchstleistung antreiben. Eine Langdistanz ist ein großes Abenteuer mit vielen Unwägbarkeiten und man kann sich nie sicher sein, es ins Ziel zu schaffen. Es ist das Salz in der täglichen Trainingssuppe, das uns immer wieder antreibt, auch bei schlechten Bedingungen raus zu gehen und zu trainieren. Genau genommen wird die Leistung eigentlich gar nicht im Wettkampf erbracht. Der Wettkampf ist nur die Kür. Vielmehr ist es das Monate lange, zum Teil harte Training für den Wettkampf, das die eigentliche Herausforderung darstellt. Gut vorbereitet und mit vernünftigem Maß bestritten ist der Wettkampf selbst nur noch ein relativ kleiner letzter Schritt.

Thomas, Rainer, Jörn und Jürgen glücklich und zufrieden nach dem Ironman in Frankfurt

 

Die Vorgeschichte unserer Teilnehmer am Ironman Frankfurt 2017

Im letzten Jahr starteten die beiden Bremer Triathlöwen Jörn Schumm und Rainer Koschke in Wales über eine Ironman-Langdistanz. Während Jörn sich dort für Hawaii qualifizieren konnte, musste Rainer nach zwei von vier Laufrunden unterkühlt aufgeben. Gemeinsam wollten sie jedoch beide in Hawaii starten. Ein mögliches Scheitern in Wales antizipierend hatten sie sich schon lange vor Wales für den Ironman-Triathlon 2017 in Frankfurt für den Fall der Fälle angemeldet. Eine frühzeitige Anmeldung dort ist notwendig, weil die Veranstaltung recht schnell ausverkauft ist. So befanden sie sich in der Situation, dass einer von ihnen einen Platz sicher hatte, der andere jedoch nicht. Nichtsdestotrotz buchten sie beide zusammen noch vor Frankfurt ihre Reise nach Hawaii. Somit stand Rainer unter Zugzwang. Einerseits war in Frankfurt die Gefahr einer Unterkühlung geringer, andererseits war auch zu erwarten, dass die Konkurrenz in der Altersklasse höher sein würde, da es sich um die europäischen Meisterschaften handelte.

Dem Entschluss, in Frankfurt zu starten, folgten noch zwei weitere Triathlöwen aus Bremen, namentlich Thomas Jaeschke und Jürgen Rehkugler, sowie Christoph Tapken vom TSV Osterholz-Tenever (OT) Bremen. Allesamt sind sie erfahrene Triathleten und bereits mehrfach über die Langdistanz gestartet. Christoph war sogar 2013 bereits auf Hawaii. Sie bildeten eine gemeinsame Trainingsgruppe. Das aufwändige Training und die individuellen Verpflichtungen sowie persönlichen Stärken und Schwächen ließen ein gemeinsames Training zwar selten zu, aber immerhin haben sie sich oft untereinander ausgetauscht, sich beraten und motiviert. Auch bei den gemeinsamen Trainingslagern, dem ersten mit den Triathlöwen im Harz und dem zweiten auf Mallorca, haben sie fast geschlossen teilgenommen.

Mit Hilfe der Erfahrungen aus dem Wettbewerb in Wales optimierte Rainer sein Training und legte besonderen Wert auf das Radfahren, bei dem er im Vergleich zu seiner Konkurrenz in der Vergangenheit schlecht abschloss. Hierzu konnte er sich am erfolgreichen Training von Jörn orientieren, der insbesondere beim Radfahren in seiner Altersklasse in Wales dominierte. Ein Radtrainingslager auf Fuerteventura mit professionellen Trainern war ein wichtiges Element, um die Form aufzubauen. Auch das Schwimmen war auf dem Prüfstand, da man aufgrund der letzten Jahre damit rechnen musste, dass ein Neoprenverbot verhängt werden könnte. Für Späteinsteiger beim Schwimmen ist der Neoprenanzug eine große Hilfe und vermag zu einem gewissen Teil, Defizite in der Technik zu kompensieren. Somit begann Rainer beim Schwimmen nochmals bei null und baute die Technik schrittweise auf, teilweise gestützt auf Bücher und Videos, aber auch mit Anleitung durch einen professionellen Schwimm-Coach und den Schwimmtrainer der Löwen, Justus Rehkugler, Sohn des mit ihm startenden Jürgen Rehkuglers.

Die Vorbereitung verlief zunächst für alle fünf Bremer Athleten sehr gut. Auf der Zielgerade des Trainings kamen jedoch einige ins Straucheln. Zunächst zog sich Jörn nach dem Trainingslager auf Mallorca ein Problem mit den Beinen zu, das ihn davon abhielt, in ausreichender Intensität das Laufen zu trainieren. Dann bekam Christoph Schwierigkeiten mit einem seiner Beine, nachdem er eine großartige und für Frankfurt vielversprechende Leistung bei der Halbdistanz in Vierlanden vollbracht hatte, mit der er im Gesamtklassement achter wurde. Später sollte sich herausstellen, dass es sich bei seinem Problem um einen Ermüdungsbruch handelte. Schließlich wurde Thomas auf seinem Roller noch von einem Auto gerammt und stürzte. Glücklicherweise blieb es bei Prellungen und Kratzern. Am Ende konnten jedoch alle bis auf Christoph an den Start gehen, auch wenn bei Jörn nicht abzusehen war, ob die Beine überhaupt mitspielen und das Trainingsdefizit beim Laufen den vollen Marathon erlauben würden. Christoph blieb der Gruppe jedoch treu und feuerte die Starter an der Strecke an.

Die Fakten des Rennens

3.121 Athleten waren beim Ironman Frankfurt 2017 angemeldet, davon 339 Frauen (inklusive 28 Profi-Frauen) und 2.782 Männer (inklusive 65 Profi-Männer). Ins Ziel kamen 258 Frauen (inklusive 14 Profi-Frauen) und 2.178 Männer (inklusive 35 Profi-Männer). Jene, die nicht ins Ziel kamen, mussten aufgeben, scheiterten am Zeitlimit von 15 h oder traten erst gar nicht an. Der Ironman Frankfurt stellt die europäische Meisterschaft der Ironman-Serie dar. Das Feld war deshalb international und stark besetzt. Nur wenig mehr als die Hälfte der Starterinnen und Starter kamen aus Deutschland. Von den Triathlöwen aus Bremen waren Thomas Jaeschke, Rainer Koschke, Jürgen Rehkugler (alle drei in der Altersklasse M50) und Jörn Schumm (AK M40) am Start.

Gestartet wurde am Langener Waldsee (etwa 13 km außerhalb von Frankfurt) mit den Profi-Männern um 6:30 Uhr. Um 6:32 Uhr starteten die Profi-Frauen. Die Lufttemperatur betrug um diese Zeit bereits über 20 Grad Celsius. Die Wassertemperatur lag laut Veranstalter bei 24,1 Grad Celsius. Dies hatte zur Folge, dass die Profis ohne Neoprenanzug, die Altersklassenathleten aber noch mit Neoprenanzug schwimmen durften. Im Laufe des Tages stieg die Lufttemperatur auf etwa 30 Grad Celsius. Am Tag nach dem Rennen betrug die Wassertemperatur 25 Grad und lag damit um ein halbes Grad höher als der Schwellenwert, ab dem ein Neoprenverbot ausgesprochen wird.  Dies mag bei dem einen oder anderen die Vermutung erwecken, dass am Sonntagmorgen zum Vorteil der Altersklassenathleten gemessen wurde.

Vor dem Schwimmstart…

Ab 6:40 Uhr durften die Altersklassenathletinnen und -athleten ins Wasser. Deren Start erfolgte als so genannter Rolling Start, bei dem in kurzen Abständen immer nur fünf Athletinnen und Athleten ins Wasser gelassen werden. Diese Form des Schwimmstarts soll das Hauen und Stechen eines Massenstarts und die Pulkbildung beim Radfahren vermeiden. Pulks auf der Rastrecke galt es zu vermeiden, da nicht im Windschatten gefahren werden durfte. Der Nachteil eines Rolling Starts ist, dass die Athletinnen und Athleten nicht genau wissen, wer zeitlich vor oder hinten liegt, weil der Zeitpunkt für das Überqueren der Wasserstartlinie maßgebend ist.

Geschwommen werden mussten 3,8 km mit einem kurzen Landgang nach 1.500 Metern. Die Radstrecke war in diesem Jahr nicht wie bei einer Langdistanz üblich 180 km, sondern einmalig nur 177 km lang, weil eine Baustelle eine Umleitung erforderlich machte.  Sie führte vom Langener Waldsee nach Frankfurt. Von dort aus ging es auf zwei Runden in den Taunus und zurück nach Frankfurt. Gelaufen wurden 42,195 km in vier Runden am Main entlang.

Die schnellste Frau, Sarah Crowley (Australien), kam in 08:47:58 h ins Ziel. Der schnellste Mann war der Vorjahressieger Sebastian Kienle (Deutschland) in 07:41:42 h.

Das Rennen

Die Nacht vor dem Rennen war für die allermeisten Athleten recht kurz. Zum einen erforderte der frühe Start ein sehr frühes Aufstehen, zum anderen ließ die Aufregung vor diesem Tag ein Einschlafen kaum zu. Viel mehr als zwei Stunden Schlaf kamen bei Rainer nicht zusammen. Die anderen genossen etwas mehr Schlaf, aber in keinem Falle ausreichend viel.

Eine Stunde vor dem Start wurde die Wassertemperatur bekannt gegeben. Zur Erleichterung der meisten Athleten durfte ein Neoprenanzug getragen werden. Jürgen verzichtete jedoch auf diese Möglichkeit, weil er sich ohne wohler fühlte und der Neoprenanzug nur unwesentliche Vorteile für ihn bringen.

In der Reihenfolge der anvisierten Schwimmzeit reihten sich die Triathlöwen in die Wartenden ein und rannten und sprangen dann unter viel Getöse schließlich ins Wasser. Trotz des Rolling Starts blieb die eine oder andere Kollision mit anderen Schwimmern nicht aus. Insgesamt war das Schwimmen aber angenehmer als bei einem Massenstart. Mehr Probleme bereitete die tief stehende Sonne, die den Schwimmern nach der ersten Wende direkt in die Augen schien und eine Orientierung an entfernteren Punkten fast unmöglich machte. Stattdessen musste man den anderen Schwimmern hinterher schwimmen, in der Hoffnung, dass diese auf dem richtigen Kurs lagen.

Zwar stieg Rainer nach 1:06:39 h (Rang 77 in der M50) als erster der Triathlöwen aus dem Wasser, aber faktisch war der im Rolling Start erst nach ihm ins Wasser gestiegene Thomas in einer Zeit von 1:06:16 h (Rang 72 in der M50) der schnellste Bremer Schwimmer. Ihm folgten Jörn in 1:08:36 h (Rang 182 in der M40) und Jürgen in 1:09:57 (Rang 115 in der M50). Jürgen hatte trotz Neoprenverzicht kaum Zeit verloren und überholte durch einen schnelleren Wechsel beinahe noch Thomas vor dem Aufstieg aufs Rad. Rainer und Jörn begegneten und begrüßten sich in der Wechselzone mit einem zufriedenen Grinsen und den Worten „Nicht der schon wieder!“ und machten sich dann auf das Rad.

Auf den ersten Kilometern in die Stadt konnte man mit etwas Rückenwind bereits ein hohes Tempo einschlagen. In der Stadt selbst wurde es teilweise etwas eng und holprig, so dass Rainer eine seiner Verpflegungsflaschen verlor. An zwei Stellen lagen sogar Glasscherben in einer Kurve. Eine Panne hätte bereits früh große Probleme bereiten können. Erst außerhalb der Großstadt entspannte sich die Lage wieder etwas, aber auch nur bis zu einer Passage in einem Vorort Frankfurts, die 400 Meter lang über Kopfsteinpflaster und einen kleinen Anstieg führte. Von einem der Sponsoren der Veranstaltung wurde hierfür sogar eine separate Wertung für den schnellsten Fahrer ausgelobt. Die Triathlöwen waren aber keineswegs bereit, hier ein unnötiges Risiko einzugehen, und fuhren mit großer Vorsicht sehr verhalten über das Pflaster. Jürgen musste immer wieder seine beinahe herausfallende Flasche zurück in die Halterung drängen. Keiner wollte frühzeitig die eigene Verpflegung einbüßen.

Die zwei Mal zu fahrende Runde durch den Taunus hatte insgesamt einen Anstieg von etwa 1.000 Höhenmetern. Selbst wenn man Autobahnbrücken in Bremen einbezieht, gibt es eigentlich keine Möglichkeiten, sich auf ernsthafte Höhendifferenzen, geschweige denn Anstiege mit bis zu 10% Steigung in Bremen und umzu vorzubereiten. Die notwendige Kraft hatten sich die Triathlöwen in den Radtrainingslagern und bei Fahrten gegen den Wind oder auf der Rolle geholt. Sie kamen alle gut mit der Strecke zurecht. Der Wind wehte leicht, für die Nordlichter aber kaum wahrnehmbar.

Jürgen

 

Nach etwa 50 km holte Jörn den vorausgeeilten Rainer ein, der sich schon Sorgen um Jörn gemacht hatte, weil er viel früher mit ihm gerechnet hatte. Später schloss Rainer wieder zu seiner eigenen Verwunderung zu ihm auf, woraufhin Jörn aber wieder bis zur zweiten Runde enteilte. Jörn hatte sich eine Radzeit von etwa 4:50 h vorgenommen, während Rainer eine Zeit von 5 h anvisierte. Das Radfahren lief aber besonders gut, so dass Rainer in der zweiten Runde wieder Sichtkontakt zu Jörn herstellte. Er blieb jedoch hinter ihm, weil er eigentlich schon viel schneller als geplant unterwegs war und noch Kraft für den abschließenden und entscheidenden Lauf aufsparen wollte. Bis dato hatte er bereits ein großes Zeitpolster für den Lauf aufgebaut. Es schien alles perfekt zu sein an diesem Tag. Bei einem ungeschickt eingefädelten Überholmanöver, bei dem er zu dicht auf seinen Team-Kollegen auffuhr, wurde er jedoch von einem auf einem Motorrad mitfahrenden Schiedsrichtern jäh aus seinem Traum gerissen und mit einer Zeitstrafe belegt. Diese zwang ihn, bei der nächsten Kontrollstelle (so genannte Penalty-Box) anzuhalten und fünf Minuten über seine Dummheit nachzudenken. Eine gewisse Panik machte sich dort breit, allerdings lag er zu diesem Zeitpunkt bereits 10 Minuten vor seinem Plan. Trotz Zeitstrafe hatte er noch immer fünf Minuten herausgefahren. Nichtsdestotrotz blieben der Ärger und die Sorge, es möglicherweise so töricht vermasselt zu haben. Beim Laufen hätte man dieses Polster gut gebrauchen können.

Auch Thomas und Jürgen bildeten ein Paar auf dem Rad. Nach etwa 13 km lag Jürgen knapp vor Thomas. Nur sehr langsam und vor allem erst auf der zweiten Runde baute Jürgen seinen Vorsprung auf Thomas aus. Am Ende trennten die beiden vier Minuten. Die gleiche Zeitdifferenz hatten Jörn und Rainer. Die Radzeiten der vier waren wie folgt: 4:49:19 h für Jörn (Rang 28 in der M40), 4:55:57 für Rainer (Rang 17 in der M50), 5:06:33 h (Rang 54 in der M50) für Jürgen und 5:11:03 h (Rang 68 in der M50) für Thomas. In dieser Reihenfolge ging es dann auch auf die Laufstrecke.

Den schnellsten Wechsel vom Rad zum Laufen vollzog Rainer mit 2:09 min, gefolgt von Thomas in 3:06 min. Die beiden anderen Triathlöwen brauchten hierfür circa 3:45 min. Aber selbst der schnellste Wechsel der Triathlöwen verblasst gegen die Zeit, die Profis sich damit aufhalten. Deren Wechselzeiten liegen bei circa einer Minute.

Thomas

Die Laufstrecke war eingeteilt in vier identische Runden entlang des Mains. Bis auf Anstiege an Brücken war die Strecke vollkommen flach. Allerdings waren die Temperaturen mittlerweile bei circa 30 Grad Celsius angelangt und die Strecke bot nur wenig Schatten. Glücklicherweise bewölkte sich der Himmel hin und wieder. Die hohen Temperaturen setzten vielen Athleten sehr zu. Man behalf sich mit Wasserschwämmen und Eis und goss nahezu alles in sich hinein, dessen man habhaft wurde, um nicht zu dehydrieren. Auch wenn es Rainer ebenso zu warm war, so war ihm das um ein Vielfaches lieber als die Erfahrung mit der Kälte in Wales. Auskühlen würde heute keiner; soviel stand fest.

Jörn

Jörn schlug von Anfang an ein hohes Lauftempo ein und baute seinen zweiminütigen Vorsprung, mit dem er auf die Laufstrecke ging, auf den ersten 14 km auf komfortable drei Minuten aus. Dann allerdings musste er seinem Trainingsrückstand beim Laufen Tribut zollen. Rainer ging für seinen Plan eher zu schnell an und musste sich immer wieder bremsen, um nicht Gefahr zu laufen, am Ende einzubrechen. Bislang war alles im Plan und es gab keinen Grund, ein Risiko einzugehen. Zu Anfang der Laufstrecke befand er sich auf dem 29. Platz seiner Altersklasse, was er zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht wusste. Auch bei Jürgen lief es verhältnismäßig gut. Er vermochte es, sein Tempo relativ konstant bis zum Schluss zu halten. Nur Thomas hatte zunehmend Probleme mit den Strapazen, die die Hitze und die Wettkampfdauer bereiteten. Er musste gelegentlich Gehpausen einlegen und blieb an den Verpflegungsstellen stehen, um sich ausgiebig abzukühlen. Die mitgekommenen zahlreichen Begleiterinnen und Begleiter aus Bremen halfen den vier vermehrt müden Männern auf jeder Runde mit begeisterten und begeisternden Anfeuerungsrufen. Für alle gestarteten Triathlöwen war es ein aufbauender Höhepunkt auf jeder Runde, an der eigenen Fan-Gemeinde vorbei zu kommen. Je müder die Athleten desto lauter wurden deren Fans. Die Fans versorgten sie auch mit Informationen zu den Zwischenzeiten und aktuellen Platzierungen. Rainer durfte erfahren, dass er in seiner Altersklasse in der zweiten Laufrunde  auf dem vierzehnten Platz lag und wenn er sein Tempo so weiter halten könne, gute Chancen auf eine Platzierung unter den ersten acht hätte. Man konnte von den Anmeldungen im Vorfeld ausgehen, dass es in seiner Altersklasse sieben bis acht Startplätze für Hawaii geben würde. Als ehemaliger Marathonläufer ist Laufen seine beste Disziplin im Triathlon, aber zu jeder Zeit kann ein Krampf oder ein sonstiger plötzlicher Einbruch – wie etwa in Wales – alles zunichtemachen. Bei Kilometer 29 wurde Jörn zugerufen, dass Rainer laut der über das Internet zeitversetzt bekannt gegebenen Zwischenzeiten etwa 1,5 min hinter ihm sei. Tatsächlich hatten die Fans aber übersehen, dass letzterer unmittelbar hinter Jörn lief, was zu einiger Überraschung und Belustigung bei Athleten und Fans gleichermaßen führte. Jörn bemerkte lautstark: „Den werde ich jetzt nicht mehr los“, um dann aber sofort wieder einen höheren Gang einzulegen und sich abzusetzen. Nach geraumer Zeit schloss Rainer wieder zu ihm auf. Bereits etwas angeschlagen bat er ihn, ihn beim Lauf nicht alleine zu lassen. Jörn übernahm dann für einige Kilometer Schützenhilfe und Führungsarbeit, bis sich sein Trainingsdefizit im Laufen vollends durchsetzte und er das Tempo herausnehmen musste. Er feuerte Rainer ein letztes Mal lautstark an und schickte ihn dann alleine auf den letzten Teil der Reise. Beim abschließenden Treffen mit den Fans auf der finalen Runde erfuhr dieser, dass er nunmehr siebter seiner Altersklasse sei. Freude und Beruhigung machten sich sofort breit. Jetzt das Ding nur noch sicher nach Hause laufen, aufpassen, dass man nicht überholt wird, und kein Risiko mehr eingehen. So verlangsamte sich dann das Tempo etwas, bis Rainer schließlich zu seinem Schrecken von einem Fan an anderer Stelle zugerufen bekam, dass er einen direkten Verfolger habe, der beim letzten Kontrollpunkt nur vier Sekunden hinter ihm läge. Wie konnte das sein und wo ist dieser Mensch? Es war keiner in seiner Umgebung, der ihn überholt hatte oder drohte, ihn zu überholen. Hatte er einen Moment nicht aufgepasst? Und da war sie wieder die Sorge. Was, wenn es doch nur sieben Startplätze in seiner Altersklasse gäbe und alle zusagten? Er versuchte, das Tempo wieder aufzunehmen, aber eine Beschleunigung nach über neun Stunden Wettkampf ist kaum noch möglich. Irgendwann tauchte dann ein anderer Läufer an seiner Seite auf, der ein ähnliches Tempo lief. Die Erinnerungen sind so trübe, dass nicht mehr klar ist, ob er eingeholt wurde oder selbst eingeholt hatte. Ist es der direkte Konkurrent? Eigentlich kann es nur er sein. Sonst ist niemand in der Nähe mit demselben Tempo. Also ranhalten und absetzen, keinesfalls abhängen lassen. Jetzt zählt es, auch wenn man schon angezählt ist. Schließlich geht es rechts weg von der normalen Runde hinein in den Zielkanal. Beide Läufer erhöhen weiter das Tempo. Wie weit ist es von hier noch? Dann geben beide Vollgas, das Ziel ist in Sicht und es kommt zu einem Sprint nach der langen Anstrengung, den aber der vermeintliche Konkurrent gewinnt. Rainer erreichte somit die viertbeste Laufzeit seiner Altersklasse und arbeitete sich dadurch von Platz 77 beim Schwimmen über den Platz 29 nach dem Radwechsel auf den achten Platz seiner Altersklasse vor. Später sollte sich herausstellen, dass der Sportler, gegen den er am Ende sprintete, zu einer jüngeren Altersklasse gehörte und der Phantomläufer, den er nicht zu Gesicht bekam und sein eigentlicher Konkurrent war, netto eine Minute vor ihm lag.

Im Ziel war keine Zeit mehr, dem besseren Sprinter zu gratulieren. Die schwere Finisher-Medaille wurde umgehängt und dann wurden die Beine schwach und die Helfer eilten herbei und mussten Halt geben. Sicherheitshalber bugsierten sie Rainer dann auf eine Trage und verlegten ihn ins Sanitätszelt. Mit einer Infusion wurde er wieder aufgepäppelt. Als Jörn ins Ziel kam, suchte er sofort seinen Team-Kollegen im Zelt auf. Mit dieser Prozedur war er bereits aus Wales vertraut. Die beiden witzelten im Zelt darüber und freuten sich gemeinsam, dass es dieses Mal wenigstens erst nach dem Überqueren der Ziellinie soweit kam. Am Ende brauchte Rainer 9:33:44 h und Jörn 9:39:30 h für das gesamte Rennen.

Rainer

Jürgen erreichte nach 10:18:04 h die Ziellinie und lag damit sehr nahe an seinem Ziel für den optimalen Fall, den 10:15 h, und dies bei der großen Hitze und ohne Hilfe eines Neoprenanzugs. Vorgenommen hatte er sich für die Verpflegungsstellen beim Laufen ein lockeres, dennoch zügiges Durchgehen, maximal von Anfangstisch bis zum Ende, und die Aufnahme von Gels alle 4-5 Km. Aber bereits nach etwa 7-8 km entschieden sich Kopf und Körper anders – Wasser und Cola sollten die nächsten 25 km seine Energielieferanten bleiben. Er grübelt noch heute, lange nach dem Wettkampf, ob das wirklich klug war. Sein ursprünglich geplanter Laufpuls von 136-140 sank während des Laufens schnell auf etwa 120. Leider auch die damit verbundene Geschwindigkeit. Jede Verpflegung wurde einerseits zur verschwendeten Zeit und andererseits eine unglaubliche mentale Zwischenfreude zur Überwindung der irre langen 42 km. Sollte er eine Langdistanz irgendwann einmal wieder angehen, plant er nun definitiv, jede zweite Verpflegung durchzulaufen. Etwa 21 Verpflegungen mit je circa eine Minute kosten schlicht die 21 min Zeit, die er gerne für eine 3:40 h Laufzeit gehabt hätte.

Für Thomas war es am Ende noch ein langer und harter Weg, den er aber mit großer Ausdauer und Zähigkeit in 11:15:43 h meisterte. Die hohen Temperaturen hatten ihm alles abverlangt. Sein Fazit nach dem Wettkampf lautete: gute Vorbereitung, aber schlechte Ausführung. Woran es gelegen hat, kann er aus heutiger Sicht nicht wirklich erklären, er vermutet aber, dass ihm auch ein wenig die Ernsthaftigkeit fehlte, die ihm im Laufe seines langen Triathlonlebens verloren gegangen sein könnte. Man sollte auf einer Langdistanz zu hundert Prozent fokussiert sein, was er bei seinen Mitstartern zu sehen glaubte, aber bei sich selbst vermisste. Nichtsdestotrotz war es ihm eine Freude mit den anderen drei Löwen zu trainieren, zu starten und die Erfolge mitzufeiern.

Die Leistungen der Triathlöwen bedeuteten am Ende für Rainer den achten Platz, für Jörn den 39. Platz, für Jürgen den 44. Platz und für Thomas den 112. Platz in ihren Altersklassen. Und dies immerhin bei der Europäischen Ironman-Meisterschaft mit starker internationaler Besetzung. In der Altersklasse M50 waren 415 Athleten für den Start gemeldet. Damit fand sich Thomas trotz aller Widrigkeiten noch immer unter den 27% besten seiner Altersklasse wieder. In der Altersklasse M40 von Jörn waren 551 Starter gemeldet. Somit schaffte er es trotz Probleme in der unmittelbaren Vorbereitung und am Ende des Laufes nicht nur ins Ziel, sondern reihte sich auch noch unter die besten sieben Prozent seiner Altersklasse ein.

 

Der Tag danach

Am Tag nach dem Wettkampf wurden die Qualifikationsplätze für Hawaii vergeben. Es war bis dahin nicht klar, wie viele Startplätze es in der M50 geben würde, da dieses Zahl anhand der tatsächlich gestarteten und nicht der bloß gemeldeten Athleten bestimmt wird. 2016 gab es in der Altersklasse M50 acht Plätze, im Jahr davor jedoch nur sieben. Sollte einer der qualifizierten Teilnehmer seinen Platz nicht in Anspruch nehmen wollen, würde der nächste auf der Rangliste befragt werden, bis alle Plätze vergeben sind. In den vergangenen Jahren haben nie alle ihre Plätze beansprucht. Aber der schlimmste Fall, bei dem es nur sieben Plätze gibt und alle zusagen, war nicht völlig auszuschließen.

Als die Vergabe schließlich zur Altersklasse M50 kam und zu allererst als Anzahl der zu vergebenden Plätze die Zahl Acht genannt wurde, gab es kein Halten mehr. Die ganze Gruppe der gestarteten Triathlöwen und ihre Begleiterinnen und Begleitern jubelten. Der Sprecher war zuerst etwas irritiert, erfasste die Situation aber dann richtig und meinte, er wolle sich jetzt nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen, er sei aber der Überzeugung, dass dieser Jubel dem achtplatzierten Rainer gelte.

Nun heißt es für Jörn und Rainer sich so schnell wie möglich zu erholen, um dann wieder Fahrt in der Vorbereitung für Hawaii aufzunehmen. Das erste Etappenziel haben die beiden erreicht. Ihr Ziel für den nächsten gemeinsamen Start in Hawaii sollte es sein, zusammen ins Ziel zu kommen und das Sanitätszelt dabei zu meiden.

Unsere Zwei für Hawaii

Danksagung

Die vier gestarteten Triathlöwen bedanken sich bei ihren Frauen Andrea, Irene, Katrin und Nici für ihre Unterstützung vor, während und nach dem Triathlon sowie bei den mitgereisten Fans Hannah, Nina, Stephie, Wiebke, Christoph, Marc, Martin und Tobias für das Anfeuern vor Ort. Die ausgezeichneten Fotos stammen von Christoph.